Gerald Morgner, Referent und Coach für Gemeinwohl-Ökonomie erläuterte auf Einladung von Ingrid Jaschke, Kreis- und Stadträtin der GRÜNEN, was genau hinter dem Begriff steht und wie die Gemeinwohl-Bilanzierung funktioniert.
Die Gemeinwohl-Orientierung ist verfassungsrechtlich verankert: beispielsweise im Grundgesetz Artikel 14 „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“ oder in Artikel 151 der Bayerischen Verfassung „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“. Die drohende Klimakatastrophe oder auch die immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen arm und reicht machen deutlich, dass unser bisheriges Wirtschaften diesen Erfordernissen nicht entspricht. Der Umbau der Wirtschaft und unserer Gesellschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit und einem ethischen Wirtschaftssystem ist daher notwendig.
Die Gemeinwohl-Ökonomie stellt den Menschen und seine Lebensgrundlagen in den Mittelpunkt des Wirtschaftens. Das ethische Wirtschaftsmodell berücksichtigt und fördert soziale und ökologische Systeme; Menschenrechte, Solitarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung sind ausschlaggebende Kriterien ethischen Wirtschaftens. Der monetäre Gewinn steht nicht an erster Stelle bei der Erfolgsbewertung.
Das zentrale Instrument anhand dessen Unternehmen oder Kommunen feststellen können wo sie stehen, ist die Gemeinwohl-Bilanz. Mittels der Matrix, deren differenzierte Fragen in allen Punkten zu beantworten sind, wird aufgezeigt, in welchen Bereichen konkreter Handlungsbedarf besteht. Zahlreiche private, aber auch kommunale Unternehmen haben sich bereits der Gemeinwohl-Ökonomie angeschlossen; Landesregierungen wie Baden-Württemberg oder Hessen haben sie in ihr Regierungsprogramm aufgenommen. Kirchanschöring im Landkreis Traunstein ist die erste gemeinwohlzertifizierte Gemeinde Deutschlands (2018). Inzwischen zogen die schleswig-holsteinischen Gemeinden Breklum, Bordelum und Klixbül sowie die Stadt Steinheim in Nordrhein-Westphalen (2020) nach.
Bereits 2015 hat sich der Wirtschaft- und Sozialausschuss der Europäischen Union mit großer Mehrheit für die Gemeinwohl-Ökonomie ausgesprochen. Dieses Wirtschaftsmodell entspreche europäischen Werten und gesellschaftlicher Verantwortung. Es solle in europäische sowie einzelstaatliche Rechtsrahmen aufgenommen werden.
Der Entwurf des GRÜNEN Bundestagswahlprogramms enthält ein Bekenntnis zu dem ethischen Wirtschaftsmodell. Auf kommunaler Ebene könnte beispielsweise die Aufnahme von sozialen und ökologischen Kriterien in die Ausschreibungen öffentlicher Aufträge einfließen und so Gemeinwohl-orientiertes Wirtschaften gefördert werden. Die Gemeinwohl-Bilanzierung kommunaler Unternehmen wäre ein weiterer Schritt hin zu enkeltauglichem Wirtschaften. Mit ihrem kürzlich eingereichten Antrag, in unserem Landkreis mit dem Abfallwirtschaftsbetrieb ein Pilotprojekt zur Gemeinwohl-Bilanzierung zu etablieren, hat die GRÜNE Kreistagsfraktion einen Vorstoß in diese Richtung unternommen.